Welt-Aids-Konferenz: Neue Ansätze und Finanzierungsprobleme

Selbsttests – ein „gamechanger“?

Selbst-Tests sind sicher, effizient und vor allem in der Lage, bislang wenig erreichte Personen anzusprechen.

Das ist das Ergebnis vieler internationaler Studien und Projekte, für die namibische Gesundheitsministerin gelten Selbsttests sogar als „gamechanger“.

Diese ermutigenden Erkenntnisse beziehen sich ebenso auf Hepatitis C: Damit könnte künftig ein weiteres Instrument zur Verfügung stehen, auch bei uns die bislang unerreichbar erscheinenden WHO-Ziele zum Beenden von HCV wirksamer in Angriff zu nehmen.

Selbsttests sind eindeutig auch für Zielgruppen wie Drogengebraucher:innen  geeignet – wenn sie denn, so A. Taslim von International Network of People who use drugs, angemessen finanziert werden und in niedrigschwellig zugängliche Strukturen eingebunden sind. Hier wiederum spielen community-basierte Zugänge, etwa über peers, eine zentrale Rolle.

Ein weiterer Ansatz auch für Dortmund?!

 

Aids beenden: Zeit wird knapp - Nicht ohne Community zu erreichen und in NRW massiv fraglich

Das Konferenzmotto „“put people first“ ist nicht nur ein Slogan, sondern Gesundheitsförderung aus der Perspektive derjenigen zu konzipieren, die am meisten betroffen sind. Die konsequente Einbindung dieser Menschen und ihrer communities ist der Schlüssel für wirksame Lösungen: Sie kennen die Bedürfnisse, agieren flexibel und innovativ, und sind in der Lage,  die sozialen Aspekte von Gesundheit zu adressieren. Dies sei essentiell, da soziale Faktoren 80% der individuellen Gesundheit bestimmen.

Um Aids zu beenden, sei daher die noch konsequentere Einbindung der Community und der community-nahen Organisationen, in Deutschland u. a. der Aidshilfen, notwendig. Diese wiederum benötigten endlich eine angemessene öffentliche Finanzierung – auch Selbsthilfe sei nicht zum Nulltarif zu haben.

In NRW und auch Dortmund sind diese Strukturen relativ gut ausgebaut, allerdings drohen sie durch die angekündigte Kürzung der Landesmittel massiv Schaden zu nehmen. Die WHO-Ziele der Beendigung von HIV und auch HCV werden dann in weite Ferne rücken.

Künstliche Intelligenz: spannende Ergebnisse internationaler Forschung

Der Einsatz künstlicher Intelligenz könnte mittelfristig auch im Bereich HIV oder HCV die bestehenden Angebote ergänzen und dazu beitragen, bislang schlecht erreichbare Gruppen besser zu adressieren. Diverse internationale Forschungsprojekte belegen eine hohe Akzeptanz, KI könnte etwa in der Beratung oder für angeleitete Selbsttests genutzt werden. Voraussetzung ist allerdings eine gute Einbindung in bestehende Strukturen der Gesundheitsversorgung und weitere Forschung.

Auch wir haben uns auf den Weg gemacht und nehmen an einem Modellprojekt des Paritätischen zur Nutzung von KI in der Sozialen Arbeit teil. Es bleibt spannend…

 

„Medikamente reichen nicht: Wir müssen all unsere Angebote auch zu den Menschen bringen!“

Beatriz Grinsztein fasste mit diesen Worten die existierenden Herausforderungen zusammen - die globale Forderung: mehr personenzentrierte Versorgung.

Sämtliche Angebote in der Prävention und Versorgung müssten viel sich stärker aus den individuellen Bedürfnissen ableiten, um die Menschen auch tatsächlich zu erreichen.

Am Beispiel etwa der Hilfen für ältere Menschen mit HIV wurde ausgeführt, dass es neuer ganzheitlicher und integrierter Angebote auch in der Altenarbeit bedarf, um den wachsenden Bedarfen älterer HIV-Positiver durch intersektionale Kooperationen – z. B. zwischen HIV-Behandler:innen, Altenhilfe und Aidshilfe – besser zu begegnen.

Auch für Dortmund planen wir neue Angebote für Multiplikator:innen aus der Altenhilfe sowie aufsuchende Hilfen für Ältere in Abstimmung mit HIV-Schwerpunktärzt:innen – vorbehaltlich einer entsprechenden finanziellen Förderung.

 

Spritzenautomatenprojekt NRW: International beispielhaft, lokal ausbaufähig

Über 100 Spritzenautomaten in NRW bieten einen wichtigen und vor allem niedrigschwelligen Zugang zu sterilen Konsumutensilien für Drogenkonsumierende – und damit einen wichtigen Beitrag zur Reduzierung von Gesundheitsrisiken und zur Prävention von HIV und HCV.

Auf der Welt-Aids-Konferenz wurde das Projekt der Aidshilfe NRW dem breiten internationalen Publikum als besst-practice-Modell vorgestellt.

Ein Teil der Realität ist allerdings leider auch: Unser Automat in Dortmund konnte nach dem Umzug des kick vor über zwei Jahren noch immer nicht wieder installiert werden, und auch für weitere Automaten konnte die Kommune bislang keine Standorte finden.

 

Diskriminierung ist der entscheidende Treiber von Pandemien

Stigmatisierung und Diskriminierung sind nicht nur individuell ein Problem, sondern auch der entscheidende Treiber von Pandemien – was empirisch eindrücklich belegt wurde. So gibt es eindeutige Korrelationen etwa zwischen zunehmendem Rassismus und sinkenden Test- und Behandlungsraten.

Damit sind Ungleichheit und Marginalisierung aktuell auch die größte Barriere, um HIV zu beenden. Sie hindert Menschen – etwa von MSM über Sexarbeiter und Trans*Menschen bis hin zu Drogengebrauchenden -  nachweislich daran, Angebote der Prävention und Behandlung in Anspruch nehmen zu können.

Angesichts eines global zunehmenden Rechtspopulismus komme community-basierten Organisationen eine noch zentralere Rolle zu, um Ungleichheit und Diskriminierung immer wieder zu thematisieren und sich dem entgegenzustemmen.

 

UNAIDS: „2024 als Scheideweg“ Konzepte sind vorhanden - die Finanzierung (noch?) nicht.

Was bleibt nach einer Konferenz mit dem geballten know how von über 10.000 Expert:innen aus der ganzen Welt?

2024 ist das entscheidende Jahr, ob die Weichenstellungen zum Beenden der HIV-Pandemie bis 2030 noch gelingen: Global, aber auch lokal ist nun auch und vor allem Politik gefordert.

In Dortmund sind wir inhaltlich auf dem richtigen Weg, die fachlichen Antworten etwa zur Verbesserung des Zugangs für Migrant:innen aus Subsahara-Afrika, ältere Menschen mit HIV, Trans*Personen oder Drogengebrauchende liegen in der Schublade. 

Allein der politische Rückenwind fehlt: Der Dortmunder Kämmerer hat gerade die Verhandlungen mit der Wohlfahrt aufgrund vermeintlich leerer Kassen abgebrochen, der NRW-Gesundheitsminister kündigt massive Sparmaßnahmen im Aids-Etat an, und hinsichtlich des Bundeshaushalts erübrigt sich jeglicher Optimismus.

Wie UNAIDS schon festgestellt hat: „Es drängt, jetzt!“ Wir müssen reden.